7.8.13

Man kann sich auf nichts mehr verlassen


Ich war drei Jahre lang nicht mehr im Urlaub.

Da erwartet man doch bitte schön gewisse Klischees, gewohnte Ferienzutaten, die einem die Laune versalzen und einfach dazu gehören, wenn man sich erholen möchte.


Und dann das!


Wir verbrachten die Ferien auf der Nordseeinsel Föhr. Als Erstes hätten uns eigentlich starker Wind und tiefe Temperaturen empfangen müssen, aber nix da! Es herrschte Sonnenschein und ein angenehmes Lüftchen. Und das blieb während zwei Wochen zu 90% so! Was soll das denn bitte?


Gut, ich dachte, vielleicht kann ich mich ja auf die obligaten Baustellen in Nähe unserer Unterkunft verlassen, aber auch da Pustekuchen. Statt urbanem Lärm musste ich Ruhe und den Anblick dieses Hauses gegenüber ertragen. Aber nicht nur das, unser Ferienhaus entpuppte sich als absolut sauber, gepflegt, charmant und filmkulissentauglich für jedwede Liebesschnulze.





Also ab an den Srand. Vielleicht würde uns dort das gewohnte Bild erwarten: Schmaler Küstenstreifen, Liegen in Reih und Glied, Herden von Pauschaltouristen und phlegmatische Klunkerverkäufer, die einem kunterbunten Plunder aufschwatzen wollen.

Tja, die Ernüchterung folgte auf dem Fuß.


Der Strand war breit, der Sand sauber und fein, die Strandkörbe kaum besetzt und immens praktisch, weil abschließbar, so dass man seine Badesachen darin verstauen und nicht jeden Tag aufs Neue zum Meer schleppen musste. Apropos Nordsee. Ihr vermutet meinen Frust bereits: Das Wasser war warm, der Sandboden voller toller Muscheln und Krabben, dass es meinen Jungs Freudenjauchzer entlockte.


Diese idyllische Vorstellung schon am ersten Tag war kaum zu ertragen!





Aber ich ließ mich nicht unterkriegen! Bei einem ausgedehnten Spaziergang durch das Dörfchen Nieblum, in dem sich unser Ferienhaus befindet, würde ich schon noch den einen oder anderen Schandfleck ausfindig machen.

Ein naives Unterfangen! Ein Reetdachhaus folgte aufs andere, so dass ich mich in «Die Brüder Löwenherz» oder «Wir Kinder aus Bullerbü» wähnte.


Also ab auf den Friedhof, um die Stimmung zu senken.


Nur war der eben auch anmutig, ein Ort wie aus einem Edgar Wallace Roman. Es hätte mich nicht gewundert, wäre nicht gleich auch noch Miss Marple mit ihrem Mr. Stringer um die Ecke geschlichen.


Eine Dame, die mir beim Zeichnen über die Schulter blickte, erzählte mir, Nieblum sei in den 70ern drei Mal hintereinander zum schönsten Dorf Deutschland gewählt worden.


»Dann nicht mehr?«, fragte ich.


»Nein, danach nicht mehr«, antwortete die Frau kopfschüttelnd.


Aha!, dachte ich. Da musste danach ja was schief gegangen sein. Leise Hoffnung keimte auf, dass mit dem Ort vielleicht doch etwas nicht stimmte.


»Und warum nicht?«, drängte ich daraufhin.


»Nach dem dritten Mal wurde das Dorf aus dem Wettbewerb ausgeschlossen, damit die anderen Dörfer auch mal eine Chance haben.«


Stöhn!





Man sagt ja, man kann sich Dinge schön saufen. Ich dachte, vielleicht funktioniert es auch umgekehrt. Aber am Ende eines jeden Abends blieb es bei absoluter Gemütlichkeit, Entspannung, Ruhe und vermaledeiter Zufriedenheit, wie man bei meiner Schwägerin sehen kann.




Ach ja, es gibt ja auch noch die Bewohner, und die sind ja Deutsche. Sind die nicht für gewöhnlich bestimmend, unfreundlich und humorlos? Ha! Ich also am morgen ab in die Bäckerei, Metzgerei und in den Tante Emma Laden (Alle unerträglich herzig und in enttäuschend naher Gehdistanz), um mich von garstigen Inselbewohnern gehässig herum schubsen zu lassen.

Ihr wisst, was kommt: Alle nett, alle ungeheuer pointiert und zuvorkommend. Eine Qual!





Ein Ausflug in die Hafenstadt Wyk sollte Abhilfe schaffen. Dort werden haufenweise Touristen von Fähren aus- und eingeladen. Das Gedränge würde also groß sein, die Atmosphäre entsprechend gehetzt und die Verkäufer und Kellner wohl förderbandmäßig genervt.

Nö. Ein fröhliches und ausgelassenes Miteinander.


Ein Fischladen hatte im Hinterhof eine Ausstellung mit skurrilen Meeresbewohnern. Immerhin ein wenig Grauen, das ich aufs Papier bringen konnte.





Natur?

Pur. Frei von Gestank und Müll, erfüllt von sattem Grün und glücklichem Getier.




Irgendwann blieb mir also nichts anderes übrig, als mich dem Schicksal zu ergeben und zu akzeptieren, dass wir wirklich auf einem herzallerliebsten Eiland gelandet waren. Das ging am Ende so weit, dass ich mich sogar zu den typischsten Motiven für Aquarellmalerei habe hinreißen lassen.

Das war fast zu viel für mich.


Aber nur fast, und darum werde ich mir diese Tortur das nächste Jahr garantiert noch einmal antun!







13 comments:

  1. Der blanke HORROR!!! genau wie Deine Arbeiten! Absolut unerträglich... schön!

    Vielen Dank für die wunderbaren Einblicke und Deinen fantastischen Text dazu! Ich bin Dir dafür so dankbar, dass ich mich sogar aufopfern und nächstes Jahr an Deiner Stelle auf die Insel reisen würde.

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  2. Das kann ich nun wirklich nicht von dir verlangen :-).

    Danke und viele liebe Grüsse

    Boris

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  3. Das ist ja eine ganze Ausstellung erstklassiger Zeichnungen. Toll!

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  4. Eine tolle Reportage über diesen unwirtlichen Ort! Hab als 11-jährige mal ne Klassenreise dorthin unternommen, aber die Jugend und quirlige Gesellschaft haben wohl den dunklen Schatten dieser Insel übertüncht. Herzliche Grüße aus dem Süden und ein dickes + ;)

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  5. Du bist echt krass Boris. Jetzt will ich auch dorthin reisen und an allem derart Anstoss nehmen müssen.

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  6. Ich habe das gleiche wie Katrin gedacht, das reicht für eine Ausstellung oder, mit dem unterhaltsamen Text, als Drehbuch für einen Film. Super.

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  7. So eine Schweinerei - man kann sich ja auf NICHTS mehr verlassen ;-)!! Deine Bilder sind wirklich sehr schön geworden ................... und jetzt will ich auch dorthin, seufz!!!

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  8. Eine Super-Geschichte mit herrlichen Illustrationen, aber wie Du sagst, kaum
    zu glauben! Soll ich hingehen, um mich zu überzeugen?

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  9. @Katrin: Danke :-). Ich hatte ja auch genügend Zeit und Muse. So gesehen war das ja ein Klacks ;-).

    @Isabell: Hast damals sicher ein wunderbares Trauma davongetragen :-).

    @monbaum: Reisende soll man nicht aufhalten ;-).

    @Javier: Danke, mein Guter und bis Samstag, dem ersten gemeinsamen Film ;-).

    @SuperCybermouse: Danke und go for it! Du wirst wunderbar enttäuscht werden.

    @Eva Sarkar: Wenn ihr alle dort hingeht, artet das noch in einen helvetischen Sketch-Crawl dort oben aus :-).

    Viele liebe Grüße

    Boris

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  10. Hallo lieber Boris,
    ich habe eine gute Nachricht für dich. Du hast Dir einen ekelhaften Nordseevirus eingefangen. Er benebelt das Hirn und ich habe ihn seid meinem 3 Lebensjahr. Wenn du miese Laune willst der Virus ist unheilbar.
    Liebe Grüsse von einer schwer Nordseekranken
    Tine

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  11. p.s. Um deine Laune zu verschlimmern, die Bilder sind so schön die würden sich glatt als Postkarten eignen. :)

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  12. Ha, danke :-)!

    Ich habe mir auf der Insel fast überlegt, ein oder zwei tatsächlich als solche zu verschicken.

    Viele liebe Grüße

    Boris

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  13. schöne Serie und toller Begleittext, ich war auch im Norden. Wenn das Wetter mitspielt, dann macht es wirklich Spass dort oben!

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